Es ist mit Sicherheit nicht einfach, zusammen mit 12 groben Brüdern, einer schlecht gelaunten Weihnachtskatze, einer schreckhaften Mutter und einem faulen Vater, in einer Höhle zu leben. Insbesondere dann, wenn du das kleinste Familienmitglied bist und alle über dich hinwegsehen. Stúfur mag der kleinste Weihnachtsmann sein, aber er ist sehr temperamentvoll und hat große Träume. Er mag es, zu singen, zu tanzen und Zaubertricks vorzuführen, aber seine Brüder lachen ihn nur aus. Seine Eltern Grýla und Leppalúði sind von seinen Vorführungen auch nicht wirklich begeistert…
In Island gibt es keinen Heiligen Nikolaus. Einer Legende nach gibt es 13 Weihnachtsmänner, oder -kerle (auf isländisch jólasveinar), die in dem Lavafeld Dimmuborgir bei Mývatn im Norden Islands leben. In den 13 Nächten vor Weihnachten kommen sie in die Stadt. Einst kamen sie, um Essen zu stehlen und Streiche zu spielen, doch heute hinterlassen sie meistens kleine Geschenke in den Schuhen der Kinder. Ihre Mutter Grýla, eine menschenfressende Riesin und ihre gruselige Weihnachtskatze haben sich auch bessere Manieren angewöhnt – oder zumindest aufgehört, Menschen zu essen!
Eines Tages, kurz vor Weihnachten, als es kein Essen mehr in der Höhle gab, wollte Stúfur die Stimmung mit einem Lied, das er über sich selbst geschrieben hatte, aufhellen. Aber Leppalúði kuschelte sich nur noch tiefer in sein Bett, zog sich die Decke über den Kopf und Grýla schrie: „Hör auf mit diesem Rumgequietsche! Du machst mich total wahnsinnig!“ Stúfur wollte die Nerven seiner Mutter nicht strapazieren, da sie ihn bereits einmal aus der Höhle geworfen hatte und alle seine Zähne, bis auf einen, gebrochen hatte. Stúfur war lieber still, bevor er noch seinen letzten Zahn verlieren würde. Giljagaur hatte Mitleid mit seinem Bruder und folgte ihm hinaus in die Kälte. „Du weißt, dass Mama seit Tagen nichts gegessen hat. Da bekommt sie immer extrem schlechte Laune,“ sprach er ihm Mut zu. „Komm, lass uns schauen ob wir etwas Essbares finden.“ Grýla, deren Leibspeise bis vor kurzem freche Kinder waren, lebt jetzt vegan. Das ist ziemlich schwierig im Winter, wenn jeder Halm unter einer dicken Schneeschicht begraben liegt.
Giljagaur war der größte der Brüder und er konnte problemlos durch den tiefen Schnee stapfen. Während er einen Schritt machte, machte Stúfur vier. Schon bald war Stúfur zu müde, um weiter zu laufen. Er lehnte sich an einen Zaunpfahl und rief nach seinem Bruder. Aber Giljagaur konnte ihn nicht hören und lief davon. Plötzlich spürte Stúfur, wie sich etwas Warmes und Weiches an seinen Wollpullover rieb. Er erschreckte sich, taumelte rückwärts und landete in einem Schneehaufen. Er hörte ein freundliches Wiehern und realisierte, dass es nur ein liebes Pferd war, das ihm Hallo sagen wollte.
Stúfur kam wieder auf die Füße und klopfte sich den Schnee von der Kleidung. Er streichelte das Pferd – und hatte eine brilliante Idee! „Sag mal… wärst du so nett, mich auf dir reiten zu lassen?“ Überzeugt von seinen Fähigkeiten als Reiter – obwohl er noch nie zuvor auf einem Pferd gesessen hatte – kletterte Stúfur auf einen Felsen und von dort aus auf den Rücken des Pferdes, welches erstaunlich stillstand. „Folge den Spuren!“ befahl Stúfur. Das Pferd bewegte sich nicht. „Hmmm, was war nochmal das Kommando…“ Stúfur schnalzte mit der Zunge und es rannte los. So plötzlich, dass er fast sein Gleichgewicht verlor. Er hielt sich an der Mähne fest, hüpfte auf und ab und lachte laut, als sie Giljagaur überholten.
Das Pferd trabte auf ein beleuchtetes Haus zu und stoppte draußen. Es war ein Café am Rande von Dimmuborgir namens Kaffi Borgir. Ein starker Gestank drang aus der Küche und Stúfur rümpfte die Nase. Er glitt vom Pferd und umarmte es, um seinen Dank zu erweisen. Giljagaur tauchte auf und blickte erstaunt drein. „Woher hast du dieses Pferd?“ Dann nahm auch er den Gestank wahr. „Was ist das?“ Sie lugten durch das Küchenfenster und sahen die Köche, die etwas, das aussah wie Fisch, in einem großen Topf kochten. „Es ist fermentierter Rochen!“ sagte Giljagaur. Es war der 23. Dezember und an dem Tag ist es in Island Tradition, Rochen zu essen. Er lachte. „Es schmeckt viel besser als es riecht – lass uns ein paar Stücke mit nach Hause zur Höhle nehmen!“ Kartoffeln und Steckrüben kochten in kleineren Töpfen, aber was Stúfurs Aufmerksamkeit auf sich zog, war panierter Fisch, der in Butter gebraten wurde. Verbrannte Krümel, die in Pfannen klebten, waren seine Leibspeise! Vom Esszimmer aus kam schallendes Gelächter und die neugierigen Köche verließen die Küche, um herauszufinden, worüber die Leute lachten. Jetzt war ihre Chance gekommen! Die Brüder schlichen in die Küche. Giljagaur schnappte sich eine Dose und Spachtel und Stúfur sollte ein paar Stücke des Rochens aus dem Topf fischen. „Beeil dich, Stúfur!“ sagte Giljagaur aufgeregt und ließ plötzlich die Dose fallen und rannte davon, da es im Esszimmer leise geworden war. Stúfur genoss immer noch seine Krümel, als die Köche zurückkamen. „Was ist hier los?“ fragte der Chefkoch streng. „Ähhm…“ Stúfur musste sich schnell etwas einfallen lassen. „Ich bin hier, um aufzutreten.“ Der Koch sah ihn verdächtig an. „Nagut, aber was machst du dann hier? Geh in das Esszimmer!“
Zögernd ging Stúfur in das Esszimmer, doch freute sich schnell über all die erwartungsvollen Gesichter. Er räusperte sich. „Hier kommt eine Überraschungsvorführung! Mein Name ist Stúfur und ich bin hier, um ein Lied vorzutragen, das ich über mich selbst geschrieben habe.“ Die Menschen blickten einander erstaunt an, als Stúfur auf einen Tisch sprang und begann, zu singen: „Ich bin vielleicht klein wie ein Bläschen und so leicht wie eine Vogelfeder. Aber ich kann auch groß und unglaublich mutig sein!“ Er sang laut, gestikulierte wild umher und das Publikum war so erstaunt von dem witzigen kleinen Mann, dass sie laut lachten. Dann standen alle auf, klatschten und tanzen zum Rhythmus des Liedes und Stúfur konnte seine Begeisterung kaum verstecken. Als die Vorstellung vorbei war, verbeugte er sich tief.
Der Besitzer des Cafés nahm seine Hand und dankte ihm von Herzen für die großartige Vorstellung. Jetzt war das Mittagessen fertig und die Bedienungen brachten Schüsseln gefüllt mit Rochen, gebratenem Fisch, Kartoffeln, Steckrüben und geschmolzenem Schaffett. „Würdest du gerne mit uns essen?“ fragte der Cafébesitzer. „Naja… das ist sehr freundlich. Aber wenn ich etwas von dem Essen mit nach Hause zu meiner Familie nehmen könnte, wäre das noch besser.“ Der Cafébesitzer sagte, das sei kein Problem und sagte der Bedienung, sie solle die Dose, die Giljaugur fallen gelassen hatte, mit Fisch füllen. „Kann ich auch ein paar Kartoffeln und Steckrüben für Grýla haben? Sie ist jetzt vegan.“ Der Mann lachte und sagte es gäbe genug Gemüse. Stúfur war sehr dankbar aber hatte Angst, dass er die Dose nicht nach Hause tragen konnte, jetzt wo Giljagaur weg war.
Von draußen hörten sie ein Wiehern und der Cafébesitzer fragte verwundert: „Was macht Léttfeti hier?“ Stúfur erklärte: „Dieses hilfsbereite Pferd rettete mich, als ich im Tiefschnee nicht mehr weiterlaufen konnte. Ich habe so kurze Beine, schau doch.“ Der Mann lächelte. „Léttfeti ist definitiv ein gutes Pferd. Lass uns ihm etwas Brot geben und schauen, ob er dich und das Essen zu eurer Höhle bringen kann.“ Zusammen mit Stúfur ging er hinaus, streichelte Léttfeti und gab ihm etwas Brot. Dann half er Stúfur aufs Pferd und stellte die Dose vor ihm ab. „Wirst du gut zuhause ankommen?“ Fragte er und Stúfur versicherte ihm, dass alles gut gehen würde, da er ja ein erfahrener Reiter war…
Der Gestank des Rochens kündigte ihre Heimkehr lange bevor man sie sehen konnte an. Als sie ankamen, stand die komplette Familie im Eingang der Höhle, um zu sehen, wer sie besuchte. Grýla hielt einen Baseballschläger in ihrer Hand, nur zur Sicherheit. Sie staunte nicht schlecht als sie sah, um wen es sich handelte: Ihr kleinster Sohn auf einem Pferd mit einer Dose voller Essen. „Wer hat Hunger?“ Fragte Stúfur und lachte triumphierend. „Greift zu: Lieferdienst vom Kaffi Borgir!“
Text: Eygló Svala Arnarsdóttir. Fotos: Marcin Kozaczek / visitmyvatn.is. Übersetzung: Louisa Hackl.