Der krönende Abschluss der „Pferdeabtrieb Víðidalstungurétt“ Tour von Íslandshestar war ein rasanter Ritt über Islands fünftgrößten See.

„Ich bin so unfassbar glücklich! Ich werde meiner Mutter schreiben und ihr dafür danken, dass sie mir als Kind Reitstunden geschenkt hat!“ Deborah Milner aus England strahlt über das ganze Gesicht, als ich gleich nachdem wir Hóp, Islands fünftgrößten See, auf dem Pferderücken überquert hatten, mit ihr spreche. „Ich wusste nicht, dass wir galoppieren werden!“ fügt sie hinzu, noch immer höchst euphorisch. Deborah reist mit ihrem Mann Simon, der urprünglich zum Lachsfischen hierher kam. „Ich war bereits auf kürzeren Reittouren und hatte jede Menge Spaß. Also wollte ich einen längeren Trip unternehmen,“ erklärt er – und lud Deborah zu der Reittour ein. Simon geht in seiner Freizeit Springreiten, aber Deborah reitet nicht regelmäßig. Tiina Puhakainen aus Finnland reitet Islandpferde zuhause. Sie kommt im schnellen Tölt, einer besonders weichen Gangart, die eines der besonderen Merkmale dieser kleinen und kräftigen Rasse ist, auf uns zu. Als ich sie frage, ob ihr der Ritt Spaß macht, lacht sie von Herzen und rast im Tölt an uns vorbei in Richtung des schwarzen Strandes. Ágúst Þorbjörnsson, einer der Isländer in der Gruppe, genießt ebenfalls den Tölt. „Ich liebe dieses Pferd: Blær. Ich bin ihn bereits letztes Jahr geritten. Er kann so schnell tölten, dass andere Pferde neben ihm galoppieren müssen.“

Haukur Suska, Anführer der Gruppe, galoppiert vor uns allen. Auf dem rasanten letzten Ritt der „Pferdeabtrieb Víðidalstungurétt“ Tour von Íslandshestar bringt er uns zur alten Steinkirche in Þingeyrar. Hier war einmal ein Parlament und hier wurde das erste Kloster Islands in 1133 gebaut, und dieser Ort kommt auch in der Geschichte der letzten Enthauptung in Island vor (bekannt geworden in Hannah Kents Burial Rites Das Seelenhaus auf Deutsch). Eine freie Herde folgt uns. Einige der Pferde versuchen, aus der Herde auszubrechen, aber Haukurs Gruppe erfahrener Reiter hat alles unter Kontrolle. Menschen haben weite Reisen auf sich genommen, um an dieser Tour teilzunehmen. Sie kamen unter anderem aus den USA, Deutschland, Dänemark und den Niederlanden. „Es ist eine sehr gemischte Gruppe,“ sagt Haukur über seine Gäste. „Sie sind so verschieden, befinden sich in unterschiedlichen Lebenssituationen, aber was sie verbindet ist die Liebe zur Natur und den Tieren.“ Manche reiten zum ersten Mal Islandpferde und sind zum ersten Mal in Island, während andere bereits oft hier waren. John Goldfine aus Maine ist der Rekordhalter, er ist gerade auf seiner 18. Reittour in Island!

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Wir starteten unsere Tour auf Hvammur 2 in Vatnsdalur im Nordwesten Islands, ungefähr auf dem halben Weg zwischen Reykjavík und Akureyri. Hier lebt Haukur, hier züchtet und trainiert er seine Pferde, beherbergt seine Gäste und startet seine Reittouren. Haukur ist einer der isländischen Pferdefarmer, die die Reiseagentur Íslandshestar betreiben. Sie bieten Touren für verschiedene Reitlevel in unterschiedlichen Regionen Islands an und ermöglichen den Gästen einen Einblick in die Islandpferdekultur und das Landleben. Diese viertägige Tour vom 2. – 6. Oktober, auf der täglich bis zu 40km auf dem Pferderücken zurückgelegt werden, findet zeitgleich mit dem Pferdeabtrieb Víðidalstungurétt statt. Haukur führte uns durch die friedliche Landschaft, vorbei an blökenden Schafen, schnatternden Gänsen und singenden Schwänen. Wir durchquerten zahlreiche Flüsse, kamen an dem atemberaubenden Wasserfall in Kolugljúfur vorbei und ritten auf die Víðidalstunguheiði, wo wir viele hundert Meter über dem Meeresspiegel die einheimischen Farmer beobachteten, wie sie ihre Pferde von den Sommerweiden ins Tal trieben. Wir folgten ihnen den Berg hinunter und landeten auf einer Farm, wo Kaffee, heiße Schokolade und Kuchen serviert wurden. Ein älterer Herr zückte sein Akkordeon und alle Leute fingen an zu singen; jung und alt sangen die Lieder, die seit Generationen bei solchen Treffen gesungen werden. Anschließend ritten wir bei schönstem Wetter weiter zum Víðidalstungurétt Pferch. Die Nachmittagssonne warf einen sanften Glanz auf die Herbstlandschaft und schuf einen märchenhaften Hintergrund, als mehrere hundert Pferde an uns vorbeiliefen. Sie wurden auf eine Weide direkt neben dem Pferch gebracht, in dem sie am nächsten Tag sortiert wurden.

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Am nächsten Tag, an dem die Herde sortiert werden soll, wachen wir zu unglaublich starkem Wind auf, der problemlos Menschen umwehen kann. Nichtsdestotrotz findet der Víðidalstungurétt wie geplant statt. Wir sehen zu, wie die Pferde zunächst in kleinen Gruppen in den mittigen runden Platz gebracht werden und dann in den jeweiligen Paddock ihrer Farm sortiert werden. Es sind hauptsächlich Jungpferde und Stuten mit Fohlen, die den Sommer in den Bergen verbringen, und sowohl Pferde als auch Farmer scheinen sich über das Wiedersehen zu freuen. Der Wind kennt keine Gnade und lässt kein bisschen nach, als alle Pferde sortiert sind. Wir fangen an uns Sorgen um das große Finale unserer Tour, den Ritt über Hóp, zu machen. Voller Hoffnung fahren wir zu unseren Pferden und Haukur und seine Mitarbeiter beurteilen die Situation. Sie stellen fest, dass das Wetter sich langsam zu beruhigen scheint und wir steigen vertrauensvoll auf unsere Pferde. Als wir den See Hóp erreichen, bemerke ich plötzlich, dass er komplett ruhig ist! Es ist als befänden wir uns in einem Paralleluniversum oder einer Traumwelt, in der nichts außer uns, den Pferden und diesem riesigen See, der so groß wie das Meer wirkt, existiert. Ich genieße den atemberaubenden Ausblick, hole tief Luft und atme die frische Brise ein, während ich Haukur in den seichten See folge. Schnell springt mein vierbeiniger Freund in den Galopp. Wir werden immer schneller, Wasser spritzt in mein Gesicht und ich teile die Euphorie mit allen anderen Reitern. Falls das alles ein Traum ist, bitte weckt mich nicht auf!

Text: Eygló Svala Arnarsdóttir. Übersetzung und Fotos: Louisa Hackl. 

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