Das erste Laub hat sich verfärbt. Durch den Wald reiten Reiter und Ross. Auf der offenen Weide galoppieren sie flott und danach geht es den Berg hoch – an der steilsten Stelle müssen die Reiter ihre Pferde führen. Auf der höchsten Ebene genießen sie den schönen Ausblick über die Rhön, das „Land der offenen Fernen“.

Seit 50 Jahren organisiert die Familie Feuerstein im Herbst einen dreitägigen Herrenritt in der Rhön, zu dem sich Freunde und Familiemitglieder treffen, um die Natur, das Reiten und die Gesellschaft von einander zu genießen.

Die Geschichte des Herrenrittes fing im Jahr 1963 an, als der Hühnerfarmbesitzer Raban Feuerstein von Frauenholz in der hessischen Rhön wegen Verdacht auf Herzprobleme ins Krankenhaus geschickt wurde. Die Ärzte rieten ihm, sich einen Hobby zu suchen. Rabans Frau Charlotte schenkte ihm das Buch „Heißgeliebte Island-Pferde“ von Ursula Bruns (welches einen großen Teil zum Interesse in Islandpferde der Deutschen beigetragen hat). Das Ehepaar hat sich anschließend zwei Pferde gekauft, die die ersten Islandspferde in der Rhön wurden, und fingen an zu züchten.

„Die Mutter ist diejenige, die den Anfang gebildet hat.“ sagt Josef Feuerstein, Sohn von Charlotte und Raban. Er und seine fünf Geschwister haben alle die Freude an den Pferden geerbt. „Die Rhön war eine arme Gegend und die Leute mussten hart arbeiten um zu überleben,“ erklärt Josef. Im letzten Jahrhundert hat sich die Situation langsam verbessert, aber Nutztiere waren immer sehr wichtig und Pferde ein teures Gut. „Man hat Pferde nicht zum Vergnügen gekauft.“

Aber das hat sich mit der Ankunft der Islandspferde verändert. Die Familie Feuerstein hat Hilfe gebraucht, um einen Stall und eine Schaune zu bauen und Zäune aufzustellen. Die Helfer haben Fohlen geschenkt bekommen. So wuchs die rhönische Islandspferde-Rasse und gleichzeitig das Interesse der Einheimischen. Rabans Bruder, Wigbert Feuerstein, war einer der begeisterten Islandspferde-Besitzer, und durch seine Initiative ist der Herrenritt entstanden.

„Hier ist es im Schnitt steinig und auch kalt – in Island ist es noch extremer – und es passt gut zu den Islandspferden,“ sagt Josef. Die Rhön liegt in den Bundesländern: Hessen, Thüringen und Bayern. Frauenholz lag damals nah an der Grenze zur ehemaligen DDR. Der Name Rhön ist wahrscheinlich der gleichen Herkunft wie das isländische Wort „hraun“, was „Lava“ bedeutet. Rhön hat nämlich teilweise Gestein vulkanischen Ursprungs. Die Region wird von Mittelgebirge geprägt. „Vor 1200-1300 Jahren, als die Rhön urbanisiert wurde, hat man aus der Urwaldlandschaft eine Kulturlandschaft gemacht und deswegen gibt es diesen Ausdruck: „Land der offenen Fernen“,“ erklärt Josef. „Man hat viele Gelegenheiten, wenn man auf eine Anhöhe kommt, ziemlich weit zu schauen.“

Die Familie ist gerne durch das schöne Gelände geritten, und wusste die Eifrigkeit, die Trittsicherheit und die Umgänglichkeit der Islandspferde stets zu schätzen. Im Oktober 1969 sind Wigbert und zwei Freunde drei Tage lang durch die Gegend geritten. Sie hatten so viel Freude daran, dass sie gleich entschieden haben, den Ritt im nächsten Jahr zu wiederholen. Seit dem haben die Feuersteins immer am ersten Oktoberwochenende Freunde und Familiemitglieder zu einem dreitägigen Herrenritt durch die Rhön eingeladen.

Im lezten Jahr fand der 50. Herrenritt statt. Von Frauenholz sind die Teilnehmer quer durch die Rhön nach Eckweisbach geritten. „Wir waren 37 Reiter – nur Männer. Es war außergewöhnlich schön. Am ersten Tag war es richtig warm: 18 Grad,“ sagt Josef. Am ersten Tag sind sie 35 Kilometer geritten, 25 Kilometer am nächsten Tag und noch 35 Kilometer am letzen Tag. „Am zweiten Tag war es neblich, aber am dritten Tag bekamen wir einen sensationellen Blick auf das Mittelgebirge.“

Josef und seine Brüder Nicolaus und Alexander organisieren seit vielen Jahren den Herrenritt. Die Teilnehmer kommen aus den nördlichsten und südlichsten Teilen Deutschlands und ein Kern von 10-15 Reitern macht immer mit. Der älteste Reiter ist 83 und der jüngste Teilnehmer bis jetzt war 10. Am Anfang sind sie immer den gleichen Rundweg geritten, aber in den letzten Jahren suchen sie lieber unterschiedliche Strecken aus. Aber es geht immer bergauf und - ab. Die Männer übernachten in Gasthöfen unterwegs und die Pferde können sich auf Weiden von Bekannten ausruhen.

„Der erste Abend ist Männerabend,“ sagt Josef. Dann spielen sie Karten und stoßen mit Bier an. „Am zweiten Abend dürfen die Damen dazu kommen.“ Sabine, Josefs Frau, erinnert sich an ein Jahr, als die Frauen wegen des Oktoberfests aufgefordert wurden, Dirndl anzuziehen. „Aber keine hatte ein Dirndl an. Nur ich!“ lacht Sabine. „Und ich konnte auf meine schöne Frau stolz sein,“ fügt Josef hinzu. Einen Frauenritt gibt es übrigens auch, einen sogenannten Hexenritt, der jedes Jahr im August stattfindet und auch eine über 40 jährige Geschichte hat.

Den 50. Herrenritt haben alle zusammen am zweiten Abend gefeiert. Die Gruppe hat einen Film, der während des 5. Herrenrittes im Jahr 1974 gedreht wurde, angeschaut. „Er ist sehr charmant mit toller Musik und einem Sprecher,“ beschreibt Josef. „Er ist ein Stück unseres Kulturgutes.“ Der Film demonstriert die Freundschaft und Freude der Reiter, die immer noch im Mittelpunkt des Rittes steht. „Es ist eine Kombination aus der Aktion der Pferde in dieser Landschaft und den Jungs die Spaß haben,“ meint Josef über die Stimmung. „Die Pferde fördern das. Das Islandspferd ist genial; umgänglich und trittsicher, sodass es kaum Schwierigkeiten beim Reiten gibt. Wenn du willst, laufen sie schnell.“   

Die Gründer des Herrenrittes wurden zum Anlass geehrt, u.a. Charlotte, Josefs Mutter. Sie konnte nicht dabei sein, aber ihre Schwiegertochter Heike hat die Anerkennung für sie empfangen. Charlotte hat nicht nur mit ihrem Mann die ersten Islandspferde in die Rhön gebracht, aber hat auch von Anfang an den Herrenritt unterstützt. „Am letzten Tag gibt es immer ein Abschiedsessen und meine Schwiegermutter hat für alle gekocht: Eintopf, Auflauf, Lasagne oder Suppe, etwas was man gut für viele vorbereiten kann,“ sagt Sabine. „Man sollte nicht hungrig nach Hause fahren!“ fügt Josef hinzu. Als das Kochen für Charlotte zu aufwändig wurde, hat ihre Tochter Dorothee sie unterstützt und Charlotte hat Schnaps ausgeschenkt. Charlotte hat den 50. Herrenritt miterlebt, aber kurz vor Ende des Jahres ist sie traurigerweise im Alter von 92 Jahren verstorben.

Auch wenn die Gründer des Herrenrittes, Charlotte, Raban, Wigbert und andere, nicht mehr unter uns sind, lebt die Tradition weiter und wird von Jahr zu Jahr verstärkt. „Unser Spruch ist „Nach dem Herrenritt ist vor dem Herrenritt,“ sagt Josef, der schon angefangen hat den 51. Ritt zu planen: 11.-13. Oktober 2019. „Wir hatten noch keinen Isländer dabei – orginale Islandspferde, aber keine Isländer!“ Interessierte Reiter aus Island können sich gerne bei Josef melden (jobb@herrenritt.de). „Es geht darum eine schöne Zeit miteinander zu verbringen,“ erklärt er und betont: „Wir hatten noch nie einen ernsthaften Unfall in den 50 Jahren und das spricht auch für die Pferde.“

HIER kann man den Film zum 5. Herrenritt, von Otto Herber und Peter Maubach, anschauen.

Text: Eygló Svala Arnarsdóttir. Fotos: Josef Feuerstein.

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